Die vergessene Küste

Donnerstag, 10.12.2015

Nachts herrschte Ruhe am Himmel, erst morgens fliegt wieder eine Maschine über uns hinweg.
Nach dem Frühstück im klimatisierten Frühstücksraum des Motels treten wir vor die Tür, und sofort beschlagen unsere Brillen. Die Luftfeuchtigkeit ist enorm hoch. Klimaanlagen in den Häusern und Büros sind in subtropischen Gebieten kein überkandidelter Luxs, sondern eine absolute Notwendigkeit. Man denke allein schon an den Schimmel, der sich ohne Kühlung in kürzester Zeit überall breitmachen würde. Warum sie allerdings oft so eisig eingestellt ist, dass man sich am liebsten eine Jacke überziehen möchte, wenn man IN einem Gebäude ist, das begreife ich nicht. Überhaupt - die Klimaanlagen: Sie röcheln, rattern, gurgeln, klappern. Manchmal sind sie auch ganz leise, aber viel zu selten. Zum Glück kann man sie abschalten. Sie sind Segen und Fluch zugleich, HIER in der WELT steht ein launiger Artikel darüber.

Von Gulfport, Mississippi, geht es auf der Interstate 10 immer an der Küste entlang. Ein Schild an der Bundesgrenze nach Alabama empfängt den Reisenden mit den Worten „Welcome to Sweet Home Alabama“ - „Sweet Home Alabama“ - wer kennt es nicht - ist ein Titel der Band Lynyrd Skynyrd, die einige großartige Südstaaten-Rocksongs geschrieben hat.

In Mobile, der größten Hafenstadt Alabamas, fahren wir weiter gen Osten über die zwölf Kilometer lange Jubilee Parkway Bridge. Eigentlich sind es zwei Brücken, je eine pro Richtung.

Foto von Altairisfar

Das Wetter zeigt sich heiter bis wolkig, zwischendurch gibt es einen kurzen Regenschauer. Um uns sind grüne Wälder und Sumpfgebiete. Nicht lange, und wir befinden uns in Florida.

       

Allerdings ist dies nicht das Florida von Disneyworld, Space Shuttle, Motoryachten, Cocktailbars und Palmenstränden, sondern die „Forgotten Coast“, der vergessene Küste, die Fischerdörfer, schmale, naturbelassene Mini-Strände, verblichene Holzhäuschen auf Stelzen in den Dünen, Fliegengittertüren, Schaukelstühle auf Holzterrassen und endlose Kieferwälder zu bieten hat. Den Satz „Welcome to the REAL Florida“ bekommen wir in den nächsten Tagen noch öfter zu hören. Er wird stolz ausgesprochen, man ist sich da sehr sicher. Und recht haben sie, man kann es angesichts der in jeder Hinsicht „natürlichen“ Umgebung nur bestätigen.
Keine Bettenburgen, keine großen Parkplätze, keine Prachtboulevards und Fast-Food-Ketten. Fast bin ich versucht zu sagen: Kein Plastik. Aber das wäre natürlich übertrieben. Trotzdem: Die Zeit scheint, wie schon öfter auf unserer Reise an den wirklich authentischen, nicht-touristischen Orten, stehen geblieben zu sein. Es ist wenig bis nichts los, umso besser kann man den Blick auf den Golf von Mexico genießen, zur Ruhe kommen, ausspannen.

Vorbei geht es an Orten mit Namen wie Orange Beach, Miramar -, Laguna- und Panama City Beach.

Vor etlichen Jahren waren wir schon einmal hier im „Pfannenstiel“, wie der nordwestliche Teil Floridas wegen seiner Form genannt wird. Daher freuen wir uns, dass wir wieder durch Mexico Beach kommen, einen kleinen Ort, in dem wir im lauschigen, im viktorianischen Stil erbauten „Driftwood Inn“ eine Nacht verbrachten.

Auch der Toucan Grill, in dem Werner das größte Steak aß, das ihm je serviert wurde, kommen wir vorbei. Schließlich lugt die Brücke durch die Landschaft, die uns an unseren Zielort Apalachicola bringen wird.

Der Name Apalachicola, von den Einheimischen kurz Apalach genannt, kommt vom Stamm der Apalachen, einer Untergruppe der Seminolen, und ist eine Kombination aus den Wörtern apalahchi, was „auf der anderen Seite“, und okli, was „Leute“ bedeutet. Wahrscheinlich bezog es sich auf den damaligen Standort „Leute von der anderen Seite des Flusses“.
Apalachicola liegt an einer Bucht des Golf von Mexico, in die der Apalachicola River mündet. Zu Zeiten des großen Baumwollhandels war dies eine der blühendsten Hafenstädte der Union, die bis 1821 den Namen Cottonton trug und durch eine britische Trading Post, eine Handelsniederlassung, gegründet wurde.

Normalerweise verirren sich nicht allzu viele Touristen hierher, aber es ist Freitag und – was wir nicht wussten - am Wochenende findet ein Seafood Festival statt, deshalb sind die Hotels und Bed & Breakfasts ausgebucht. Aber wir bekommen in einem Hotel den Tipp, es im Best Western am Ortsrand zu versuchen. Und wir haben Glück – gerade eben wurde ein Zimmer storniert, das wir sofort in Beschlag nehmen.

Ein erster Spaziergang führt uns entlang an wunderschönen Südstaaten-Häusern, kleinen Parks, verwunschenen alten Bäumen. Vor der Trinity Episcopal Church lädt ein Schild „Jeder ist willkommen“ zu einem Pfannkuchen-Frühstück am morgigen Sonnabend ein.


Foto: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Trinityapalachicola.jpg#/media/File:Trinityapalachicola.jpg

Hunger treibt uns schließlich zum Hafen, wo wir uns mit Blick auf den Apalachicola River bei Caroline's Riverdining ein leckeres Essen gönnen. Fisch, was sonst!

So gestärkt bummeln wir durch die Straßen in Hafennähe. Aus einer Kneipe schallt Musik, die Türen stehen offen, die Leute haben schon gut getankt, sie feiern und stehen bis auf die Straße. Ein Mann an der Gitarre singt tatsächlich gerade – juhu! - „Sweet Home Alabama“ und alle gröhlen mit.

An den nächsten beiden sonnigen, heißen Tagen genießen wir den Ort und die schöne Umgebung, beobachten bei einem weiteren Fisch-Essen, diesmal draußen bei angenehmer Brise, mit Fliegengitter ringsum und Ventilatoren an der Decke, eine Yacht beim Auslaufen, schwimmen im Pool, bestaunen Motorräder und gucken, was die Einheimischen beim Seafood Festival so machen – sie verkaufen an den Ständen alles mögliche Selbstgemachte und jede Menge Trödel,ein kleiner Trupp macht auf einer Terrasse Musik, die ganze Ortschaft ist auf den Beinen.

 

 

Die nächste Station unserer Reise ist Crystal River. Davon in Kürze mehr.

Bis dahin grüßen wir Euch herzlich

Eure

Werner und Helga